Soziale Schichten, soziale Milieus und soziale Lagen
Um die Sozialstruktur einer modernen Gesellschaft näher zu untersuchen, bietet die Soziologie drei unterschiedliche Ansätze.
Dies sind die Modelle der sozialen Schichtung, des sozialen Milieus und der sozialen Lagen. Zu den vertikalen Gruppierungen der Sozialstruktur zählen soziale Schichten (beispielsweise Ober-, Mittel- und Unterschicht). Die Dreiteilung in Ober-, Mittel- und Unterschicht wird innerhalb der Soziologie analytisch nur noch selten verwandt. Sie ist jedoch in der Umgangssprache und gelegentlich in der Tagespolitik zu finden. Auch der gesellschtlicher Wandel kann mit Schichtenmodellen näher untersucht werden.
1. Schichtenmodelle
Soziale Schichten können mithilfe von Einzelmerkmalen wie sozialer Status, Stellung im Beruf, Bildung und Ausbildung sowie Einkommen unterschieden werden. Schichteinteilungen orientieren sich häufig vor allem an der Berufsposition. Man geht davon aus, dass eine hohe Berufsposition in aller Regel eine gute Qualifikation voraussetzt und vergleichsweise hohes Einkommen, hohes Sozialprestige und hohen Einfluss ermöglicht.
Die bekanntesten Schichtenmodelle für Deutschland stammen von Karl Martin Bolte, Ralf Dahrendorf und Reiner Geißler. Karl Martin Bolte teilte in den 1960er Jahren die deutsche Gesellschaft nach den Kriterien Bildung, Einkommen und Beruf ein. Es entstand eine typische Zwiebelform – die „Bolte-Zwiebel“. Das Schichtenmodell von Ralf Dahrendorf wird auch als „Dahrendorfsches Haus“ bezeichnet. Reiner Geißler skizziert sein Schichtenmodell als „Haus mit Anbau“. Gegenüber Dahrendorf bezieht er noch die Armutsgrenze und die ausländische Bevölkerung ein.
Anwendung von Schichtenmodellen
Bei der Anwendung von Schichtenmodellen für moderne Sozialstrukturen ist folgendes zu berücksichtigen:
- Soziale Schichten sind nicht scharf gegeneinander abgrenzbar – vielmehr gehen sie ineinander über und überlappen sich zunehmend. Nur in Ständegesellschaften und in einem Kastensystem existieren exakte Abgrenzungen.
- Schichttypische Unterschiede sind manchmal nicht sofort erkennbar. Beispielsweise besitzt heute fast jeder Haushalt ein Farbfernsehgerät. Allerdings ist die Auswahl der Fernsehsendungen nach wie vor schichttypisch unterschiedlich.
- Soziale Schichten sind durch soziale Mobilität (Aufstieg/Abstieg) durchlässiger geworden. Übergänge sind möglich. Beispielsweise kann eine erfolgreiche Weiterbildung einen sozialen Aufstieg ermöglichen. Andererseits kann Arbeitslosigkeit – insbesondere der Bezug von Hartz-IV-Leistungen – einen sozialen Abstieg bedeuten.
2. Soziale Milieus
Eine horizontale Gruppierung der Sozialstruktur sind soziale Milieus. Ein soziales Milieu bezeichnet nach Emile Durkheim die soziale Umgebung, in der ein Individuum aufwächst und lebt. Der Milieu-Begriff bezieht sich auf Gruppen von Menschen mit ähnlichen Lebenszielen und Lebensstilen und umfasst auch die Wertorientierungen der Personen (beispielsweise konsumorientiert, konservativ, postmaterialistisch).
Die Milieuforschung wurde in den 1980er Jahren vom Sinus-Institut für die Markt- und Wahlforschung entwickelt und in die Sozialwissenschaften übernommen. Das Sinus-Institut definiert den Milieubegriff folgendermaßen: „Soziale Milieus fassen, um es vereinfacht auszudrücken, Menschen zusammen, die sich in Lebensauffassung und Lebensweise ähneln, die also gleichsam subkulturelle Einheiten innerhalb der Gesellschaft bilden.“
3. Soziale Lagen
Eine Sinus-Studie aus dem Jahre 2000 untersucht soziale Lagen und Grundorientierungen in Westdeutschland. Unter einer sozialen Lage versteht man die Lebensqualität und die Lebenschancen von Bevölkerungsgruppen. Berücksichtigt werden beispielsweise Beruf, Einkommen, Bildung, Arbeitsplatzsicherheit, Wohngegend, Freizeit und Integration in die Gesellschaft. Die Studie bezieht auch Grundorientierungen wie konservative, materielle und hedonistische (genussbezogene) Wertvorstellungen der Bevölkerung ein. Mithilfe der Dimensionen „Grundorientierung“ und „Soziale Lage“ werden verschiedene soziale Milieus dargestellt. Die Sinus Studie zeigt gesellschaftliche, traditionelle und moderne Leitmilieus (übergeordnete Milieus) sowie moderne Unterschichtmilieus.
Anwendung von sozialen Milieumodellen
Bei der Anwendung von Modellen des sozialen Milieus ist zu beachten:
- Soziale Milieus sind – wie Schichten – keine klar gegeneinander abgrenzbaren Gruppen. Es gibt fließende Übergänge und Überschneidungen.
- Milieumodelle sind differenzierter als Schichtmodelle und sensibler gegenüber Wertorientierungen und Lebensstilen innerhalb von Schichten.
Betrachtet man soziale Lagenmodelle, so drücken diese soziale Ungleichheiten aus. Sie beschreiben in der Ungleichheitsforschung neben „vertikalen“ Ungleichheiten (beispielsweise Unter-, Mittel-, Oberschicht) auch „horizontale“ Ungleichheiten (beispielsweise Geschlecht, Alter, Religion, regionale Herkunft).
http://suite101.de/article/soziale-schichten-soziale-milieus-und-soziale-lagen-a125098
|